22 Mai 2018 von Ludwig Boltzmann

Die Augen für neue Karrierewege öffnen – Die Leiterin und zwei Postdocs berichten über ein Jahr LBG Career Center

Nur wenige NachwuchsforscherInnen finden fixe Stellen in ihren Fachgebieten. Die meisten arbeiten projektbezogen oder müssen die Sparte wechseln. Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft will ihren 200 DoktorandInnen und PostdoktorandInnen bei der Karriereplanung helfen. Seit einem Jahr können junge WissenschaftlerInnen die vielfältigen Angebote des LBG Career Center nutzen. Die Leiterin Verena Aichholzer zieht im LBG Jahresbericht 2017 eine erste Bilanz der Aktivitäten, die Postdocs Barbara Linder vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und Peter Dungel vom Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie berichten, welche Maßnahmen besonders interessant waren. Eva Stanzl moderierte.

+++ Der LBG Jahresbericht 2017 erscheint am 01. Juni 2018. +++

In wenigen Sparten sind fixe Stellen so hart umkämpft wie in der wissenschaftlichen Forschung. Die meisten NachwuchsforscherInnen verbleiben auch nach Beendigung ihrer Doktorate in befristeten Verträgen. Eine Studie des Fachmagazins „Nature“ sowie andere internationale Studien belegen, dass 75 Prozent der Pre- und Postdocs wissenschaftliche Karrieren anstreben, aber nur 0,5 Prozent Professuren bekommen. Warum?

Verena Aichholzer: Es gibt viele Nachwuchsförderungen und daher viele junge ForscherInnen. Die Zahl der Professuren ist allerdings gleich geblieben – nicht alle jungen WissenschaftlerInnen finden ihren fixen Platz. In der Ludwig Boltzmann Gesellschaft ist die Situation noch einmal besonders, weil der Großteil unserer Institute heute bewusst befristet finanziert wird, was dann auch die Anstellungsverhältnisse betrifft. Mit dem LBG Career Center wollen wir als Arbeitgeber eine gewisse Verantwortung übernehmen und den Nachwuchs beim Übergang zum nächsten Schritt unterstützen. Forschende sollen herausfinden können, was sie wollen, welche Alternativen es gibt und welche Bedingungen dort gelten. Uns geht es darum, die Möglichkeiten auszuweiten.

Gibt es internationale Vorbilder?

Aichholzer: Karrierezentren dieser Art sind international eher neu. Wir haben uns zwar unter anderem an der National Postdoc Association in den USA orientiert, aber die Situation in Österreich ist noch einmal anders. Hierzulande bieten fast alle Universitäten eine gute Personalentwicklung und eine gute Alumni-Betreuung an, doch diese haben keinen speziellen Fokus auf Pre- und Postdocs bzw. auf eine Karriere außerhalb der Wissenschaft.

Herr Dungel, welche Laufbahn verfolgen Sie und welche Angebote des LBG Career Center konnten Sie bereits nutzen?

Peter Dungel: Ich habe Technische Chemie an der Technischen Universität Wien studiert, wollte aber immer in die Medizin. Meine Diplomarbeit konnte ich glücklicherweise am AKH Wien machen, wo ich meinen Doktorvater kennenlernte, zu dem ich dann an das LBI Trauma wechselte. Nach einem Forschungsaufenthalt in Dallas, Texas, nahm ich eine Postdoc-Stelle am Institut an. Heute bin ich Gruppenleiter auf dem Gebiet der Wundheilung und das LBG Career Center ist eine großartige Möglichkeit, neben der Forschung etwas Neues kennenzulernen. Bisher habe ich etwa einen Workshop zur Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft und einen Leadership-Workshop absolviert. Junge Leute, die Forscher werden wollen, wollen das zwar leidenschaftlich gerne, aber nur wenige haben eine Vorstellung, wie vielfältig das ist. Forschen ist nicht nur Forschen an sich, sondern bedarf auch Vorbereitung, Reflexion und ab einer bestimmten Position sozialer Kompetenz.

Aichholzer: In Leadership-Workshops vermitteln wir eine große Bandbreite von Fähigkeiten – von der Selbstführung über die Führung eines Teams bis hin zur Leitung eines Instituts. Fachliche Expertise bedeutet nicht zwangsläufig, dass jemand gut mit Menschen umgehen kann oder Management-Skills und die Voraussetzungen für Budgetverantwortung mitbringt. Zu wissen, wie man führt, präsentiert oder ein Projekt managt, rüstet einen für alle beruflichen Situationen. Für uns als LBG Career Center war der Leadership-Workshop zudem wegen des großen Interesses erfreulich. Wir machen immer zwei Termine: einen auf Englisch und einen auf Deutsch. Beide waren binnen kürzester Zeit ausgebucht, so dass wir prompt einen dritten Termin angeboten haben, der ebenso rasch ausgebucht war.

Frau Linder, welche Laufbahn verfolgen Sie?

Barbara Linder: Ich habe Jus an der Universität Wien studiert und ging danach nach Venedig für einen Master zu Menschenrechten und Demokratisierung (E.MA). Nach ein paar Praxismonaten bei der UNICEF und einem Jahr in der Entwicklungszusammenarbeit zog es mich wieder zurück zu meinem Kernbereich „Menschenrechte“ und ich hatte das Glück, 2007 eine Stelle am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte zu bekommen. Im Zuge meiner Arbeit am Institut und eines Initiativkollegs der Universität Wien verfasste ich meine Dissertation, die ich 2017 abschloss. Meine Tätigkeiten umfassen inhaltliche Forschung zu den Themen „soziale und wirtschaftliche Rechte“, „unternehmerische Verantwortung für Menschenrechte“, „Entwicklungszusammenarbeit“, „Zugang zu Rechtsschutz“ sowie Projektmanagement und Projektleitung. Das LBG Career Center bietet großartige Möglichkeiten, Zusatzqualifikationen – wie etwa Konfliktmanagement und Projektmanagement – zu erwerben bzw. zu vertiefen. Ab Mai 2018 nehme ich am Lab für Open Innovation in Science (LOIS) teil – ein interdisziplinärer Innovations- und Methodenlehrgang, um wissenschaftliche Prozesse innovativer zu gestalten und Ergebnisse besser in die Praxis zu übersetzen. Letzteres ist mir ein besonderes Anliegen. Als Wissenschaftlerin ist es meiner Ansicht nach nicht nur wichtig, zu publizieren, sondern vor allem auch wissenschaftliche Erkenntnisse in entsprechend verständlicher Sprache zu kommunizieren, sodass die Botschaft ankommt.

Welche Angebote gibt es noch?

Aichholzer: Wir haben individuelle und kollektive Angebote. Die individuelle Ebene beginnt mit einer Beratung, in deren Rahmen der oder die Pre- oder Postdoc erst einmal herausfinden kann, was ein guter nächster (Karriere-)Schritt wäre. Weiter geht es mit Potenzialanalyse, Coaching, Karriere- oder Gründungsberatung sowie Mentoring. Bei allen Bausteinen arbeiten wir mit externen Coachs, BeraterInnen und TrainerInnen unterschiedlicher Fachgebiete und Altersschichten zusammen. Der rote Faden ist die Vielfalt von Karrierewegen – wir wollen die Augen für neue Schritte öffnen. Wenn eine Person einmal weiß, wohin sie will, stehen ihr 2.000 Euro für eine spezifische Aus- und Weiterbildung zur Verfügung.

Und welche kollektiven Angebote haben Sie?

Aichholzer: Im Rahmen von Expert-Talks geben Profis aus der Praxis Impulse zu spezifischen Fragen, zum Beispiel: Welche Rolle spielen PersonalberaterInnen? Werden Stellenbeschreibungen wirklich so heiß gegessen wie gekocht? Weiters bieten wir Skills-Trainings und Internships in Unternehmen und anderen Organisationen. Pre- und Postdocs können selbst Organisationen vorschlagen, in die sie Einblicke bekommen möchten. Wir übernehmen für diese Zeit die Gehaltskosten sowie gegebenenfalls die Reisekosten und Unterkunft.

Dungel: Viele ForscherInnen haben zwar ihre Kontakte zur Industrie, aber sie wissen nicht genau, was dort abläuft, weil die Regeln anders sind. Die Praxismonate oder der Vernetzungsworkshop bieten maßgeschneiderte Möglichkeiten zum Austausch und Kontaktaufbau in einer lockeren Atmosphäre.

Linder: Die Öffnung zu und Verbindung mit anderen Berufswelten schaffen mehr Flexibilität in der Wissenschaft und bringen positive Synergien – das macht enorm viel aus.

Wohin gehen WissenschaftlerInnen nach der Forschung?

Aichholzer: Wir haben bereits zu mehr als der Hälfte unserer 200 Pre- und Postdocs Kontakt hergestellt. Etwa 50 Personen haben individuelle und 80 kollektive Angebote wahrgenommen. Da es uns aber erst seit einem Jahr gibt, haben wir noch nicht viele Alumni. Wir können noch nicht sagen, wohin die Karriereströme gehen. Ich vermute aber, dass es sich um äußerst unterschiedliche Berufswege handelt. Aus diesem Grund wollen wir jeden Jungforscher und jede Jungforscherin dort abholen, wo er oder sie steht. Es geht nicht darum, typische Karrierewege aufzuzeigen, sondern individuell zu planen. Wir wollen keine Scheuklappen verteilen, sondern den Horizont öffnen.

Frau Linder, Herr Dungel, wohin soll es gehen?

Dungel: Ich hatte das Glück, dass ich zu einem Zeitpunkt an das Institut kam, zu dem es wuchs und neue Positionen geschaffen wurden und somit die Möglichkeit bestand, mich fix anzustellen. Dennoch baue ich Führungskompetenzen auf, die ich auch meinen MitarbeiterInnen weitergebe.Meine DissertantInnen müssen nämlich auch andere Berufsfelder in Erwägung ziehen, weil die Forschung stark drittmittelfinanziert ist. Wir müssen laufend Förderanträge schreiben, damit wir unsere Leute bezahlen können. Das ist aufreibend, weil es neben Forschungsarbeit, Führungsaufgaben und der Verantwortung gegenüber den StudentInnen viel Zeit kostet. Ob man das bis zur Pensionierung machen will, ist die Frage.

Linder: Ich möchte wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis bringen. Menschenrechtliches Risikomanagement in Unternehmen wäre ein Beispiel: Wenn ArbeiterInnen unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden, braucht es mehr Bewusstsein und Information über Möglichkeiten, ihre Rechte durchzusetzen. Natürlich arbeite auch ich von Projekt zu Projekt, und wird ein Antrag nicht bewilligt, wird es schwierig.

Für wen würden Sie nicht arbeiten?

Linder: Grundsätzlich bin ich flexibel und könnte in unterschiedlichen Bereichen, auch in der Wirtschaft, tätig sein – wenn das Unternehmen verantwortlich handelt. Wenn nicht, hätte ich Probleme damit. Spannende Bereiche sind insbesondere jene, wo sich Fachgebiete interdisziplinär verbinden.

Sie bieten „Co-Creation“ an. Ist das auch etwas Interdisziplinäres?

Aichholzer: Der Begriff kommt aus der Unternehmenswelt. Es geht darum, KundInnen und andere Stakeholder bzw. Betroffene in den Entwicklungsprozess von Produkten oder Dienstleistungen miteinzubeziehen. Mein Ziel ist eine Plattform, wo WissenschaftlerInnen mit Unternehmen und anderen Organisationen zusammenkommen, um herauszufinden, wie sie zusammenpassen. Seitens der ForscherInnen gibt es oftmals Vorbehalte gegen „den Kapitalismus“, die Unternehmen sehen wiederum „den Elfenbeinturm“. Wir bringen beide Seiten in einen ergebnisoffenen Austausch. Den Anfang machte ein Workshop zu Stereotypen. Jede Seite musste die andere zeichnen und spielen. Es war beeindruckend, zu sehen, wie gut sie in die jeweils andere Rolle schlüpfen konnten und welche Fähigkeiten vorhanden waren. Auch wurde deutlich, welche Bilder in den Köpfen existieren. Im zweiten Workshop berichteten sogenannte Role Models aus ihrer Berufspraxis, im Dritten gab es Kurzpräsentationen von UnternehmensvertreterInnen, Diskussion und Netzwerk-Möglichkeiten.

Haben Sie vor, das LBG Career Center für alle DoktorandInnen und PostdoktorandInnen Österreichs anzubieten?

Aichholzer: Dieser Vorschlag war von Anfang an Teil des Projektantrags und nach dem Aufbaujahr wollen wir nun das Angebot Schritt für Schritt für externe Zielgruppen öffnen. Parallel dazu ist eine umfassendere Führungskräfte-Entwicklung angedacht.

Wer zahlt?

Aichholzer: Die Idee des LBG Career Center kam von unserer Geschäftsführerin Claudia Lingner, das Projekt wurde bei der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung eingereicht. Wir haben für drei Jahre eine Finanzierung von zwei Millionen Euro – das ist ein gutes Startbudget. Wir stellen nun den Antrag für die Fortsetzung des Programms und die Öffnung nach außen. Möglicherweise können wir dabei auch mit anderen Instituten zusammenarbeiten, damit Österreich eine Vorreiterrolle in der Planung von WissenschaftlerInnen-Karrieren einnehmen kann – man könnte sagen: Die Pflicht haben meine Kollegin Tanja Bielohaubek und ich gemacht, jetzt kommt die Kür.